Die Blockchain als Autopilot für den Kapitalmarkt

Daimler und LBBW testen die Blockchain für das Emissionsgeschäft

Die Daimler AG und die LBBW haben sich kürzlich im Kapitalmarkt auf das Eis der Blockchain gewagt. Dafür hat Daimler einen Schuldschein über € 100 Miomit einer einjährigen Laufzeit ausgestellt.

Bartels_Gr. optimal fuer Blog

Niemand kann jetzt mit Sicherheit sagen, wie dünn das Eis der neuen Blockchain-Technik noch ist. Niemand wird sich ohne Absicherung dort bewegen wollen, wenn Kapital auf dem Spiel steht. Deshalb haben sich die beiden Häuser entschlossen, den Schuldschein gleichzeitig in der Blockchain und traditionell auf Papier abzubilden.

Daimler ist seit Februar diesen Jahres prominentes Mitglied des als Open Source- Vorhaben aufgestellten Hyperledger-Konsortiums. Der Kapitalmarkt ist für Daimler nur eines von vielen möglichen Anwendungsfeldern der Blockchain. Man denke nur an die Logistik.

Die Argumente

Parolen wie Bank ersetzt Faxgerät durch Blockchain wecken Vorstellungen von schönen technischen Fortschritten, führen aber fachlich nicht weiter.

Die Formalisierung von Abläufen in der Blockchain kommt generell der gewohnten Formstrenge von Banken entgegen. Das allein reicht aber nicht für eine Bewertung aus bankgeschäftlicher Sicht.

Rainer Neske, Vorstandsvorsitzender der LBBW, und Kurt Schäfer, Leiter der Treasury der Daimler AG, haben die aus ihrer Sicht wichtigen Argumente für ihre Initiative genannt.

Diese möchten wir nachfolgend aufnehmen und ergänzen:

 

  1. Institutionelle Marktteilnehmer: Aussteller und Zeichner des neuartigen Schuldscheins sind Profis, die wissen, was sie tun. Sie kennen einander und verfügen damit über eine knappe zusätzliche und nicht digitale Ressource, nämlich gegenseitiges Vertrauen.

 

  1. Ferne zum Wertpapier: Der Schuldschein dokumentiert ein Darlehensverhältnis, aufsichtsrechtliche Regelungen über die Begebung von Schuldverschreibungen kommen nicht zur Anwendung („regulierungsarmes Gebiet“). Dies vereinfacht den Versuch.

 

  1. Was sich in der Blockchain ablegen lässt:
  • Vertragstext: Darlehensbedingungen mit Konditionen
  • Auszahlungsvoraussetzungen
  • Verfahren für Auszahlungen (Kapital)
  • Verfahren für Rückzahlungen (Zinsen, Kapital)
  • Anzusprechende Konten
  • Voraussetzungen sowie Verfahren für die vollständige oder teilweise Abtretung von Forderungen aus dem Darlehen
  • Verfahren für Aufstockungen
  • Verfahren für Prolongationen

 

  1. Entlastung des Primärgeschäfts: Die für einen Schuldschein festzulegenden Konditionen sind abhängig von den aktuellen Bedingungen im Kapitalmarkt, der Bewertung eines Schuldners durch Rating-Agenturen und in vielen Fällen langjähriger vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Schuldner und Gläubiger(n). Die für Verhandlungen notwendigen Informationen sind leicht über effiziente Datenlieferanten verfügbar. Zum Austarieren der passenden Konditionen kann eine Blockchain nichts Zusätzliches beitragen.

 

  1. Entlastung von Backoffices: Moderne Backoffices von Kreditinstituten und Treasury-Abteilungen arbeiten mit moderner und Ablauforganisation und über Jahrzehnte bewährten Standards. Dennoch geht es jetzt darum, die Kosten für Back Offices weiter zu reduzieren: Die LBBW lässt ihren Vorstandsvorsitzenden bei der Darstellung der neuen Emissionstechnik zwar lächeln. Die Eisscholle der klassischen Administration, auf der er steht, beginnt jedoch ein wenig zu schmelzen.

 

  1. Veränderungen von Risiken: Die beste Blockchain hat keinen Einfluss darauf, ob sich ein Rückzahlungsrisiko erhöht. Nach der Auszahlung gilt das Augenmerk des Gläubigers zu fast 100% der Frage, ob Zahlungen bei Fälligkeit als sicher gelten können oder ob er aufgrund von nachteiligen Entwicklungen auf Seiten des Schuldners berechtigt ist, diese vor der vereinbarten Fälligkeit zurückzufordern. In der Blockchain lässt sich kein Sensor für die Quantifizierung von Kreditrisiken aus den dort abgelegten Datensätzen installieren.

 

  1. Leistungsstörungen: Der Umgang mit Störungen (z.B. Verschlechterung der Fähigkeit zur Bedienung des Schuldendienstes, Verzug bei fälligen Zahlungen, Möglichkeit von Waivers, Umschuldungen) verlangt von den Akteuren Geschick und Erfahrung. Einzelne Sachverhalte (z.B. die Beantwortung der Frage, ob ein Cross Default eingetreten ist), bedürfen einer sorgfältigen Bewertung. In diesem Bereich wäre ein ohne umsichtiges menschliches Zutun automatisch funktionierender Smart Contract so etwas wie eine Tretmine. Was wäre in der Griechenland-Krise geschehen, wenn man Jahre vor deren Beginn (also bei schönem Wetter) alle Abläufe bei Leistungsstörungen unabänderlich in der Blockchain festgeschrieben und diese dann eine Sicherung nach der anderen hätte durchbrennen lassen?

 

  1. Diskretion, Fälschungssicherheit: Der Einsatz der privaten Blockchain, die Datenpakete nur auf den Servern von ausgesuchten Betreibern abgelegt hat, verspricht nicht nur Diskretion, sondern auch ein hohes Maß von Fälschungssicherheit. Ein Hacker müsste die eingesetzten Server kennen und auf jedem von diesen dieselbe Manipulation vornehmen, um Erfolg zu haben und nicht eine automatische Korrektur des manipulierten Datensatzes auszulösen. Allerdings ist im Schuldscheingeschäft ein Mangel an Diskretion bislang kein bekanntes Thema. Von gefälschten Schuldscheinen hat man auch noch nichts gehört.

 

  1. Risikomanager und Aufsichtsbehörden: Wenn man den internen und externen Kontrollinstanzen die Schlüssel zu Blockchains in die Hände legt, werden sie die Blockchain bald als vorteilhaft wahrnehmen. Sie können ihre Such- und Analyseverfahren automatisch arbeiten lassen und bei Bedarf schnell reagieren. Das bedeutet für die Kreditinstitute auch eine Verminderung des Arbeitsaufwands beim Informationsaustausch mit prüfenden Instanzen. Hierzu äußert sich eine Studie von OliverWyman und Euroclear .

 

Schlussfolgerung

Der Umstand, dass Informationen über eine Blockchain auf mehreren Servern sicher abgelegt sind, überwindet nicht die Wahrscheinlichkeit von klassischen Störungen. Er beseitigt auch nicht die Notwendigkeit, dass Vertragsparteien in vielen Fällen nicht in Code, sondern in menschlicher Sprache miteinander verhandeln. Geschäftsleute sprechen und lesen nicht Code. Es wird in der Kapitalmarkt-Praxis keine alle kritischen Fälle automatisch erledigende Blockchain  geben.

Es ist wie in der Luftfahrt: Der Autopilot entlastet die Piloten und senkt im Cockpit das Risiko von Fehlern. Dennoch sind die Piloten jederzeit bereit, unter Einsatz ihres Sachverstands und ihrer Erfahrung die Automatik zu ersetzen. Sie greifen manuell ein und bewältigen die im Programm nicht vorgesehenen Situationen.

Die Sicherheit ist am größten, wenn das Zusammenspiel von Programm und menschlicher Erfahrung richtig austariert ist. Mit dem Sammeln dieser Erfahrungen haben die Daimler AG und die LBBW begonnen.

Dr. Martin Bartels, LightFin

Eine Antwort

  1. Vielen Dank, sehr informativ. Gerade die letzten Aspekte weisen zu recht darauf hin, dass diese IT-Verfahren nur bürokratischen Aufwand speziell im weltweiten Zahlungsverkehr verändern und damit verringern können. Davon unbenommen bleibt die kaufmännische Basis der Transaktionen erhalten und muss mit der erforderlichen Gründlichkeit behandelt werden.

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