Cyberkriege: Gibt es Wege zur Deeskalation?

Lehren aus dem Kalten Krieg

Bartels zugeschn.

Wenn an der steigenden Verletzlichkeit der modernen Industriegesellschaft kein Zweifel besteht, haben wir auch einzuräumen, dass es kein Patentrezept dagegen gibt. Wir können jedoch darüber nachdenken, ob wir aus der Erfahrung des Kalten Kriegs  Ansätze zur Entschärfung gewinnen können. Die Entschärfung würde wirtschaftlich bedeuten, dass weniger Ressourcen für Schutzmaßnahmen benötigt werden. Das kommt allen Beteiligten zugute.

Schauen wir auf die im Kalten Krieg bewährten Lösungsansätze:

  1. Es gab Überläufer in beide Richtungen, die wertvolles Wissen mitbrachten und damit die Sicherheit einer Seite erhöhten.
  1. Es gab immer wieder Verhandlungen zwischen den Kontrahenten. Häufig führten sie zu für beide Seiten nützlichen Ergebnissen. Verhandlungen waren auch möglich, wenn eine Seite bestritt, für eine Störung verantwortlich zu sein.
  1. Wertvolle und diskrete Initiativen gingen immer wieder von kleineren Ländern mit einem übergeordneten Interesse an einer Verständigung aus, z.B. Österreich und Finnland.
  1. Die teilweise Offenlegung vorher geheim gehaltenen Wissens im Rahmen einer auf Offenheit angelegten Organisation mehrte Vertrauen und verlangsamte die Eskalation: KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa .
  1. Insellösungen für die Entwicklung besonders sensiblen Wissens (sowjetische geschlossene Stadt = Zato) lieferten wertvolle technische Fortschritte vor allem in der Verteidigungstechnik. Dahinter steckten sich gegenseitig motivierende und bestens ausgestattete Wissenschaftler. Die Städte waren auf Landkarten ausgespart und nur mit Sondergenehmigungen zugänglich.
  1. Jede Initiative mit dem Ziel der Entspannung weckte erbitterten Widerstand im jeweils eigenen Lager: Das war die von Präsident Eisenhower identifizierte innige Verbindung zwischen ehrgeizigen Militärs und der Verteidigungsindustrie MIC oder Militärisch-industrieller Komplex .
  1. Das militärische Wettrüsten endete nicht mit einem Sieg, sondern mit der Erschöpfung der Ressourcen einer Seite.

Diese Bausteine einer Realpolitik lassen sich unschwer mit Blick auf den Cyberkrieg weiterdenken:

Zu 1.:

Der Chaos Computer Club ist ein heute sehr angesehener Zusammenschluss von Hackern, die sich von der „dunklen Seite der Macht“ abgewandt haben und wertvolle Arbeit im Sinne der Sicherheit von IT-Diensten leisten.

Zu 2.:

Im Cyberkrieg gibt es bislang keine Verhandlungen, die bekanntgeworden sind. An den Tisch gehören Staaten, von deren Territorium oder Einflussbereich aus (oder nicht zuzugeben: in deren Auftrag) Hacker operieren. Diese Staaten und deren Industrien sind selbst Zielscheiben von Hackern aus anderen Einflussbereichen. Das Interesse an der Verminderung der Bedrohung betrifft alle Seiten, und nur Staaten können es in geordnete Bahnen führen.

Zu 3.:

Da im Cyberkrieg die Spannungslinien ähnlich wie im Kalten Krieg verlaufen, könnten dieselben Nationen wie in der Vergangenheit wieder die Impulse liefern.

Zu 4.:

Als erstes Offenlegungsprojekt hat sich inzwischen die Open Source Initiative OSI seit einigen Jahren etabliert. An ihre Regeln halten sich Entwickler aus allen Weltregionen. Sie liefern hochwertige Produkte, die universell zum Einsatz kommen und einen substantiellen Beitrag zur konstruktiven Zusammenarbeit liefern.

Zu 5.:

Es gab verwunderte Reaktionen, als die russische Regierung im Jahr 2013 bekanntgab, für geheimdienstliche Dokumentationszwecke mechanische Schreibmaschinen bestellen zu wollen. Den Zuschlag erhielt die deutsche Firma Olympia . Das war klug, denn kein Hacker der Welt dringt in die Datenwelt von Registraturen ein, die Informationen ausschließlich auf herkömmlichem Papier festhalten. Die Betreiber haben sich zwar auf etwas längere Zugriffszeiten einzustellen. Diesen Nachteil können sie aber durch ein Stichwortsystem auf Karteikarten weitgehend ausgleichen. Die Abkoppelung von wertvoller Information ist heute überall dort ein wirksamer Schutz, wo ein Zugriff in Sekundenschnelle nicht lebenswichtig ist. Der Ansatz lässt sich weiter ausbauen.

Zu 6.:

Wir mögen der schnell wachsenden Industrie, die immer wirksamere Mittel für Sicherstellung von IT-Netzen entwickelt, dankbar sein. Gleichwohl hätte diese in einer abgerüsteten Welt keine Aufgabe mehr. Folglich wird sie Reflexe wie der Militärisch-industrielle Komplex entwickeln und ihre Lobby ins Feld schicken, wenn Abrüstung ins Haus steht.

 Zu 7.:

Auch Cyberkriege tendieren dazu, eine Seite auszulaugen. Spekulation darüber ist jetzt aber müßig.

Dies sind erste gedankliche Ansätze. Wir würden uns freuen, die Reaktionen von Lesern kennenzulernen.

Dr. Martin Bartels, LightFin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert