Bald kein neues Fremdwort mehr: Lawtech

Fegt der Wind des technologischen Wandels die Juristen aus ihren Büros?

Auf hoher See und vor Gericht sei man niemals sicher, das ist die verbreitete Meinung. Dieses Bild geht darauf zurück, dass die Fülle des Lebens sich eben nur zu einem geringen Teil in allgemein gültigen Regeln abbilden lässt. Es ist die Aufgabe der Juristen, Teile des Zusammenlebens mit Regeln einzufangen oder zumindest diesen Eindruck zu erwecken.

Die Arbeit von Juristen hat viel mit Vagheit zu tun. Sie hat den Anspruch, logisch zu sein. Dies ist allerdings eher eine Frage der kunstvollen Darstellung als Wirklichkeit.

Die Informationstechnologie folgt strengen Regeln der Logik. Ihr Denkgerüst ist mit dem der Juristen nicht verwandt.

Nun tritt die Informationstechnologie mit neuen Software-Produkten an, welche die Arbeit von Juristen durchrationalisieren sollen. Dies mag in den Amtsstuben der Traditionalisten zunächst Unglauben und sogar Schrecken verbreiten. Denn deren Bewohner entnehmen widerwillig der Presse, dass immer mehr als sicher geltende Arbeitsplätze alsbald von „Robotern“ übernommen würden. Juristen sind dazu ausgebildet, sich immer auf das Schlimmste einzustellen.

In welche Arbeitsgebiete marschiert Lawtech ein?

Beginnen wir der Einfachheit halber mit dem, was fragwürdig ist:

a. Software für das Strafrecht

Es gibt ernsthafte Bemühungen, aus den bei der elektronischen Vermessung von Gesichtern gewonnenen Werten abzulesen, ob jemand kriminell veranlagt ist oder nicht. Solche Ansätze gab es schon im 19. Jahrhundert („Cesare Lombroso“). Sie waren nicht nur ein wissenschaftliches Desaster, sondern sie zogen vor allem in der Zeit nach 1933 schlimme Missbräuche nach sich.

Der Versuch großer IT-Häuser, vorsorglich die künstliche Intelligenz ethischen Regeln zu unterwerfen, ist sicher gut gemeint. Jedenfalls in Europa wird das Bestreben, Menschen nach ihrem Äußeren zu unterscheiden und zu behandeln, dennoch keine Nachfrager finden.

b. Strategieentwicklung für streitige Verfahren

Die Anwaltskanzlei Dentons hat sich kürzlich mit der französischen  Predictive Analytics-Gesellschaft Predictice zusammengetan. Predictice nimmt für sich in Anspruch, „mit einem Mausklick“ den wahrscheinlichen Ausgang eines Rechtsstreits, den dabei realisierbaren Betrag und die für einen Erfolg wirkungsvollsten Argumente zu bestimmen. Die Grundlage ist eine automatisierte Analyse von Gesetzestexten, Doktrin und Rechtsprechung. Dentons wird aus der Praxis die Datenbasis verbreitern und damit das Produkt aufwerten. Zu den Kunden zählt bereits Taylor Wessing.

c. Juristisches Prozessmanagement

Die Kanzlei Pinsent Masons hat begonnen, die Arbeitsprozesse in mehreren Bereichen einem Prozessmanagement zu unterwerfen und damit zu beschleunigen. Sie verschafft ihren Mandanten den unmittelbaren Einblick in die Abläufe und stärkt damit das Vertrauensverhältnis. Das Produkt heißt TermFrame.

d. Vertragsanalyse

Unternehmen, die Immobilien-Portfolios verwalten, müssen beachtlichen Aufwand treiben, um über die damit verbundenen komplexen Verträge den Überblick zu schaffen und zu behalten. Leverton bietet ein Instrument zur automatischen Analyse an, welches mit hoher Geschwindigkeit Verträge und damit verbundene Dokumente liest, Beziehungen aufdeckt, die Inhalte plausibilisiert und Fehler aufdeckt. Es bewegt sich frei zwischen 18 Sprachen. Damit wird es beispielsweise möglich, etwa ein portugiesisches mit einem japanischen Dokument zu vergleichen. Das schaffte bisher kaum ein Anwalt.

Das Berliner Unternehmen zählt Adressen wie Freshfields, Clifford Chance, Blackstone, SAP, Union Investment, STRABAG und die Deutsche Bank zu seinen Kunden.

Als neues Arbeitsgebiet steht die in vielen Bereichen als undurchdringlich geltende für die bankgeschäftliche  Dokumentation auf dem Plan.

e. Due Diligence

Wer ein Unternehmen zu kaufen beabsichtigt, der lässt Spezialisten nachschauen, ob es Leichen im Keller versteckt hat. Juristen und Wirtschaftsprüfer forschen dann intensiv in den Unterlagen des Unternehmens danach, ob sich dort Risiken verbergen. Sie haben darin Routine, können aber angesichts der oft überwältigenden Mengen vor zu sichtenden Unterlagen diese Tätigkeit nicht genießen.

Für nachlassenden Schmerz will jetzt Luminance Technologies sorgen. Luminance liest alle vorgelegten Unterlagen, interpretiert sie, stellt Auffälligkeiten fest und lernt dabei. Ein prominenter Kunde ist die Kanzlei Slaughter& May. Deren Seniorpartner Steve Cooke legt Wert auf die Feststellung, dass die betroffenen Mitarbeiter des Hauses über das Produkt nicht fluchen, sich nicht überflüssig gemacht fühlen. Sie freuen sich vielmehr über das nun mögliche effizientere Arbeiten: „It gives them their lives back.“ Die frappierende Ähnlichkeit seiner Formulierung mit der Begründung des Rücktritts von Nigel Farage ist sicher kein Zufall. Aber was mag sie bedeuten?

f. Was bedeutet der Einzug automatisierter Verfahren in der Praxis von Juristen?

Die bisher berichteten Erfahrungen sprechen nicht dafür, dass Juristen neuen Software-Tools zum Opfer fallen. Sie können ganz im Gegenteil damit mehr Arbeit bewältigen und sich aus den eher mechanischen Bereichen ihrer Arbeit zurückziehen. Sie dürfen sich mehr auf die eigentliche rechtliche Arbeit ausrichten. Allerdings sollten sie die neuen Hilfsmittel nutzen und nicht sabotieren.

Bringen wir es kurz auf den Punkt: Die Einführung von Baggern hat nicht die Schaufeln überflüssig gemacht. Die Bautätigkeit nahm aber zu.

Dr. Martin Bartels, LightFin

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