Führung + Konsens 2.0

Neue IT-Instrumente rationalisieren die private und öffentliche Corporate Governance

Was wir gewohnt sind

Unternehmen und Verwaltung mögen sich in den Zielen unterscheiden, aber das historisch gewachsene Rezept für die Wahrung von Konsistenz und Effizienz ist bis heute dasselbe: Hierarchie. Hierarchie ordnet und frisst dabei Energie.

Die Anwendung des Prinzips Hierarchie unterscheidet sich hinsichtlich der Durchlässigkeit, der Kanalisierung von Informationsflüssen und der Tiefe in Abhängigkeit von den zu bewältigenden Aufgaben. Diese sind z.B. immer Selbsterhaltung und, abhängig von der Zielsetzung der Betreiber, die Gewinnerzielung oder die Erfüllung eines Auftrags.

Bartels zugeschn.

Die historisch bewährteste Organisation der Welt ist wohl die katholische Kirche. Bei der Erfüllung ihres nur selten an die Nachfrage anzupassenden Angebots operiert sie erfolgreich mit einem auffällig flachen hierarchischen Aufbau. Im krassen Gegensatz dazu stehen die offiziellen und die informellen Organigramme von Industrieunternehmen und Großbanken. Diese lassen sich nur verstehen, wenn man neben der Funktionalität auch die Notwendigkeit nachvollzieht, unterschiedliche Machtbereiche voneinander abzugrenzen und auf zureichende Weise in Einklang zu bringen.

Die zentrale Stellschraube für die Leistung einer Organisation ist das Verfahren für den Fluss von relevanten Informationen: Es gilt, diese außerhalb und innerhalb der eigenen Reihen zu sammeln, zu selektieren, verständlich aufzubereiten und den Entscheidern mit Vorschlägen zuzuführen. Diese disponieren über die Ressourcen und verfolgen die Umsetzung ihrer Beschlüsse.

Frische Technologien

Es zeichnet sich ab, dass sich das Funktionieren von Organisationen in allen Bereichen fortentwickelt. Der Auslöser ist neue Technologie.

Für das Sammeln und die professionelle Aufbereitung von Informationen gibt es Plattformen, über die sich Fachleute unabhängig von Zeit und Ort verständigen. Ein Beispiel ist rloop. Mehr als 100 begeisterte Techniker aus allen Teilen der Welt arbeiten zusammen an der Bewältigung von Einzelbereichen des ehrgeizigen Hyperloop-Projekts .

Die BoardRoom Blockchain Governance DApp schafft einen institutionellen Rahmen für die effiziente Entscheidungsfindung von Gremien. Das reicht vom Vorstand eines Unternehmens bis hin zu Arbeitskreisen für spezielle Aufgaben. Das Grundprinzip ist dabei die strikte Transparenz hinsichtlich der Einbringung von Vorlagen und der Verfolgbarkeit von Verantwortung.

In der realen Welt bedienen sich viele Gremien gern unterschiedlichster Methoden der Vermeidung von Verantwortung und der Beanspruchung von dennoch eintretenden Erfolgen. BoardRoom schiebt dem mit Mitteln der Technik einen Riegel vor. Dies alles ist keine Spielerei, die Funktionen sind für die Praxis entwickelt.

Es wird sicher bald konkurrierende Lösungsansätze geben, aber das Ziel der Reise ist klar: Unabhängigkeit von Zeit und Ort, Geschwindigkeit, Transparenz, klare Zuordnung von Verantwortung für Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen. Wenn diese Techniken sich auf ein ganzes Unternehmen oder eine ganze Organisation ausdehnen, sind erfreuliche Auswirkungen auf die Effizienz und die Motivation von Beteiligten zu erwarten.

Auch bis zur ISO-Zertifizierung der Einhaltung solcher Verfahren ist es dann nicht mehr weit. Notierte Unternehmen, welche deren Einhaltung nicht darlegen können, werden dann eine Nichtanwendung erklären müssen.

Dagegen mag man argumentieren, dass die Entscheidungsfindung sich an die Unternehmenskultur anzupassen habe, dass der Schutz von Betriebsgeheimnissen im Vordergrund zu stehen habe und dass es deshalb nicht viel Spielraum für eine technisch angeleitete Standardisierung gebe. Dies ist wie das Plädoyer eines Schneidermeisters gegen die industrielle Herstellung von Anzügen: Noch immer schätzen wir mit der Hand gefertigte Maßanzüge, aber der Markt hat sich aus triftigen Gründen für Massenware entschieden.

Im öffentlichen und privaten Bereich: Transaktionen, Ausübung von Stimmrechten

Das Bestreben, durch eine kluge Vernetzung neue Potenziale zu heben, lässt sich vom Unternehmen und der Großorganisation auf eine ganze Gesellschaft ausdehnen. Es gelingt schon jetzt, mit den Mitteln der Artificial Intelligence deutlich schneller und mindestens so akkurat wie durch die klassische Marktforschung Meinungen festzustellen und zu gewichten: Gnosis und UNU.

Das Stichwort lautet Schwarmintelligenz. Auch wenn der Schwarm selbst allenfalls über einen dumpfen Verstand verfügt, ist die Leistungsfähigkeit der Analyse von Indikatoren aus dem Schwarm nachgewiesen. Dies schafft Voraussetzungen für die beschleunigte Konsensfindung auf der gesellschaftlichen Ebene.

Wenn es um die Teilnahme an ernsthaften Meinungsbildungsprozessen geht, beginnt alles mit der genauen Erfassung der Personen, die zur Teilnahme berechtigt sein sollen. Eine Möglichkeit, die eigene global gültige digitale Identität zu schaffen, zu korrigieren und immer mehr Glaubwürdigkeit aufzubauen, ist das auf die Ethereum-Blockchain aufgesetzte Uport. Diese sich immer mehr bestärkende Identität soll es erlauben, gesichert digitale Transaktionen durchzuführen. Das können Geschäfte (z.B. Banküberweisungen) oder auch die Ausübung von Rechten (z.B. Stimmabgaben) sein.

Deloitte hat angekündigt, sehr bald mit einem konkurrierenden Produkt an den Markt zu gehen.

Die Frankfurter Blockchain Helix AG tritt an mit einer Lösung „identity as a service“. Damit sollen weltweit Banken, Versicherungen und Notare über die Nutzung der nach strengen Maßstäben erstellten und damit eindeutigen Identitäten von Privatpersonen und Unternehmen für ein geringes Nutzungsentgelt ihre Kosten für KYC drastisch senken und ihren Geschäftsbetrieb beschleunigen. Die Identität soll rechtssicher sein.

Auch einige Mitglieder des R 3-Blockchain-Bankenkonsortiums haben begonnen, gemeinsam ein Instrument für eine einheitliche und rechtssichere KYC-Bestätigung zu entwickeln.

Im Gegensatz zu der gerade über den vernachlässigten Datenschutz stolpernden Französischen Republik hat der als digitaler Vorreiter prominente Staat Estland  es auf der nationalen Ebene geschafft, für seine Staatsbürger eine bestens funktionierende digitale Identität zu schaffen. Die öffnet die Tür zu einem einfachen und sicheren Zugang zu allen staatlichen Diensten sowie Rechten und Pflichten. Die Anwendung reicht von der Nutzung des städtischen Nahverkehrs bis hin zur Ausübung des Wahlrechts und der Abgabe von Steuererklärungen.

Mit einer solchen Infrastruktur kann ein Staat, wenn er dies für erforderlich hält, sehr effizient und zu minimalen Kosten jederzeit über Wahlen auf verbindliche Weise Konsens herstellen. Es leuchtet damit ein, dass der ehemalige estnische Staatspräsident Toomas Hendrik Ilves im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos die Leitung des Arbeitskreises für Blockchain und Governance übernommen hat. Seine Erfahrungen auf dem Gebiet des „e-Government“ können für die Programmierarbeit wertvolle Orientierungen bieten.

Was kommt auf uns zu?

Wir bewegen uns klar auf neue Systeme zu, die eine klassische Aufgabe besser bewältigen als die traditionelle Praxis der Verwaltung: Neue Techniken erleichtern das Sammeln von Informationen, deren Auswertung und Einbringung in Entscheidungsprozesse sowie das qualifizierte Entscheiden in kurzer Zeit. Sie zielen nicht auf immer perfekte Entscheidungen, wohl aber auf die Verminderung der Zahl von Irrtümern beim Handeln und beim Nicht-Handeln.

Hierarchien werden dann nicht verschwinden. Sie werden aber deutlich flacher. Dies weist auf ein neues Erleben von Effizienz. Der Ausdruck exponentielle Organisation mag etwas überspannt klingen. Er weist jedoch zutreffend auf das, was beabsichtigt ist.

Dies alles könnten wir noch als Baustelle betrachten. Tatsächlich ist das Fundament aber fertig ausgehoben. Die Betonmischer sind schon unterwegs. Es wird schneller gehen als manchen von uns lieb sein mag. Wer einen Baustopp fordert, kann dabei leicht Schaden nehmen.

Dr. Martin Bartels, LightFin

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