Über den angekündigten Tod des Bargelds

Die Frage nach der Entbehrlichkeit von Bargeld erregt die Gemüter. Wir wollen sie auf eine sachliche Ebene bringen.

Stand der Debatte

Die im Jahr 2016 hochkochende Debatte um die weitere Einschränkung des Gebrauchs von Bargeld oder sogar dessen Abschaffung kam nicht zum Abschluss. Das verwundert nicht, denn das Thema empfindet die Mehrheit der wahlberechtigten Staatsbürger als unberechtigten Eingriff in die Privatsphäre.

Bartels zugeschn.

Der bislang augenfälligste Angriff war der im Mai gefasste Beschluss der Europäischen Zentralbank, den 500 Euro-Schein ab dem Jahr 2018 nicht mehr auszugeben. Die nächste Salamischeibe schnitt der Bundesfinanzminister ab, als er bekanntgab, niemand denke daran, das Bargeld ganz abzuschaffen. Solche Worte wecken die Erinnerung an den 15. Juni 1961, als Walter Ulbricht verkündete: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“

Der Deutsche reagiert auf solche Worte ablehnend. Und er erkennt sofort, dass dahinter ein durchdachter Plan steckt.

Die Formulierung „das Bargeld ganz abzuschaffen“ weist auf die aktuelle Denkrichtung: Es geht zunächst nur darum, die Verwendung von Bargeld weiter einzuschränken. Bisher kann das deutsche Geldwäschegesetz mit der Obergrenze von €15.000 für Bargeschäfte im europäischen Vergleich noch als großzügig gelten. Das politische System strebt danach, ihn abzusenken.

Beweggründe der Politik

Die gefühlsmäßige Ablehnung der Pläne ist gut nachvollziehbar. Sie ist aber ungeeignet, um deren Umsetzung aufzuhalten. Es ist wichtig, die Ursachen der Kampagne gegen das Bargeld auf der rationalen Ebene zu verstehen. Andernfalls gelingt es nicht, mit Erfolg für die Beibehaltung des Bargelds einzutreten.

Verbrechensbekämpfung:

Wenn man Zahlungen nur noch elektronisch durchführen kann und weder Zahler noch Zahlungsempfänger anonym bleiben können, schaffe das den perfekten polizeilichen Überblick:  Korruption, Erpressung, Geldwäsche, Drogenhandel und Terrorismusfinanzierung sollen nachvollziehbar werden.

Technik:

Das in Deutschland von der Bundesbank überwachte Zahlungsverkehrssystem SEPA ist hinsichtlich seiner Zuverlässigkeit und Schnelligkeit erstklassig. Über mobile und stationäre Endgeräte ausgelöste Transfers lösen minimale Kosten aus und leisten einen wertvollen Beitrag zur Effizienz der Volkswirtschaft. In die technische Infrastruktur perfekt eingepasste und leicht verständliche Systeme für blitzschnelle Überträge von Guthaben über mobile Endgeräte wie N26 vermitteln ein Gefühl von Liquidität wie Bargeld. Das erklärt ihre Beliebtheit vor allem bei jungen Leuten. Diese finden es häufig „cool“, keine Münzen oder Geldscheine mehr bewegen zu müssen.

Die nun auch die Bundesbank beschäftigende Blockchain-Technologie verspricht weitere Fortschritte. Sie reduziert bei weiter fallenden Kosten die Zahl der einzubindenden Intermediäre und macht manipulative Eingriffe nach dem heutigen Kenntnisstand fast unmöglich.

Volkswirtschaft:

Ein prominenter und lautstarker Befürworter der Abschaffung von Bargeld ist Kenneth Rogoff. Er argumentiert, dass sich jetzt notwendige Staatsanleihen mit negativen Zinsen nur schwer platzieren lassen, wenn Sparer auf Bargeld ausweichen können. Dies ist logisch. Logisch ist aber auch, dass er damit für alle Sparer einschließlich der Einzahler in Pensionskassen und Lebensversicherungen eine Auflösung von erworbenem Vermögen zu erzwingen verlangt.

Überzeugen die Beweggründe der Politik?

Jedes Argument für die Einschränkung und Abschaffung des Bargeldverkehrs ist auf seine Stichhaltigkeit hin zu prüfen.

Volkswirtschaft:

Die Rogoff-Forderung nach negativen Zinsen auf Staatsanleihen lassen wir beiseite. Sie läuft auf fortlaufende Enteignungen hinaus, die hier nicht zu besprechende verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen.

Technik:

Ein reibungslos funktionierendes rein elektronisches Portemonnaie ist für den Verbraucher in der Tat wunderbar bequem. Es ist sehr tief, der jeweilige Inhalt der Brieftasche begrenzt nicht die Ausgaben. Das System erspart den Gang zum Geldautomaten und das Nachzählen von Kleingeld.

In Italien gab es kürzlich einen Totalstromausfall. Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit hierfür auch in Deutschland  nicht gering ist. Aus der Reihe der historischen Stromausfälle mag dem Leser noch die Schneekatastrophe vom November 2005 in Erinnerung sein, die mit dem Schwerpunkt im Münsterland etwa 250.000 Menschen über Tage vom Strom abschnitt. Solche Einschnitte empfinden wir nicht als wahrscheinlich, aber dieses Empfinden ist falsch.

Wenn heute der Strom ausfällt, funktioniert unter anderem kein elektronischer Zahlungsvorgang mehr. Ohne Bargeld werden nach wenigen Tagen die Mechanismen der Tauschwirtschaft zum Zuge kommen. Es wird einen schlagartigen Rückfall in die Versorgungswirtschaft vor der Währungsreform geben. Den für den Notfall im Schreibtisch verwahrten Krugerrand  werden Vertragspartner allenfalls nach einer aufwendigen Echtheitsprüfung als Zahlungsmittel annehmen. Für den in der Situation besonders wichtigen Kauf von Kerzen und Lebensmitteln eignen sich wertvolle Sammlermünzen nicht.

Am 23. Juli 2013 wäre ein Sonnensturm beinahe stark genug gewesen, um auf der Erde über weite Flächen alle Elektronik auszuschalten. Das Interesse von IT-Experten an diesem Thema ist etwa so ausgeprägt wie das des thailändischen Küstenschutzes an Tsunamis vor dem Dezember 2004. Es berührt sie nicht, dass sehr intensive Ausbrüche zwar aus statistischer Sicht selten auftreten, dafür aber unübersehbaren Schaden auslösen können: Das Carrington Event trat tatsächlich deutlich vor dem Eintritt der IT in die Weltgeschichte ein, nämlich vom 28. August bis zum 2. September 1859. Es hätte auch keinen der damaligen Abakus-Vorgänger unserer modernen Rechner beeinträchtigt. Die brauchen keinen Strom. Tatsächlich war dieser Ausbruch stark genug, um in Europa und Nordamerika Telegraphenstationen außer Gefecht zu setzen. Ist sensible moderne Elektronik immun?

Die Regierung sorgt sich in der Tat um den Eintritt von Katastrophenfällen und empfiehlt den Bürgern, bestimmte Lebensmittel immer auf Vorrat zu haben. Dazu passt aber nicht das Ziel, den Menschen das gerade in der Krise lebenswichtige Bargeld als letztes Mittel für die Aufrechterhaltung einer gewissen Versorgung und gesellschaftlichen Ordnung zu nehmen: Auf die Vorlage von Bargeld wird der Supermarkt mit der Herausgabe von Lebensmitteln reagieren. Schuldscheine wird er nicht annehmen. Tauschgeschäfte etwa über Familienschmuck schließt er nicht ab. Ganz klar ist Bargeld ein wesentlicher Bestandteil der Versorgung der Bevölkerung im Notfall. Dieses auf den Notfall bezogene Argument wiegt schwerer als der Komfort im Normalfall.

Verbrechensbekämpfung:

Wer da glaubt, Kriminelle durch die Überwachung aller Zahlungsvorgänge wirksam bekämpfen zu können, der unterschätzt die Anpassungsfähigkeit der Bösewichte. Die können sich jetzt ohne Schwierigkeiten im Darknet vor Einblicken schützen und auf andere liquide Zahlungsmittel wie z.B. physisch lieferbares Kokain zurückgreifen. Wenn unsere Behörden in diesem Bereich Instrumente für schnelle und zuverlässige Suche nach kriminellen Machenschaften in die Hand bekommen, kann dies in der Tat ein starker Hebel sein. Das gilt, bis die professionell aufgestellte kriminelle Szene sich neue Bereiche für die ungestörte Abwicklung ihrer Geschäfte geschaffen hat. Sie verfügt über die finanziellen Ressourcen für Investitionen in innovative Umgehungen der staatlichen Radarschirme.

Jenseits der bisher öffentlich diskutierten Argumente

Totalüberwachung:

Unsere Facebook-Kontakte, unsere Outlook-Einträge, unsere Telefongespräche über WhatsApp, unser Surfverhalten, unser Mediengebrauch, unsere Konsumentscheidungen und unsere Bewegungsprofile fließen fortlaufend in uns nicht bekannte Datenpools ein. Wir wissen nicht, in welchem Umfang diese der Marktforschung, der individuellen Überwachung oder dem Aufbau von dem Denken von Menschen vorgreifenden Algorithmen dienen. Kürzlich warnte Stephen Hawking  eindringlich davor, dass künstliche Intelligenz schon bald den Menschen nachmachen und dann über ihn hinauswachsen könne. In diesem Zusammenhang würden zusätzliche Daten über das Zahlungsverhalten den Datenkranz endgültig vergolden.

Junge Menschen reagieren auf solche Hinweise meist mit einem Achselzucken. Sie betonen, sich allenfalls von durch Suchen ausgelöste Bannerwerbung ein wenig gestört zu fühlen. Einen Missbrauch können sie sich nicht vorstellen. Das gilt auch für die Bewohner nordeuropäischer Staaten, die eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zu ihren Regierungen nie erlebt haben. Folglich ist dort die Akzeptanz einer Abschaffung von Bargeld sehr ausgeprägt.

Aus eigener Erfahrung abgeleitete subjektive Wahrscheinlichkeiten sind wackelige Grundlagen für Reaktionen. Die statistische Wahrscheinlichkeit eines Gebrauchs vollständiger Datensätze gegen die bürgerliche Freiheit ist indessen beachtlich. Man bedenke, dass Deutschland im letzten Jahrhundert auf seinem Territorium in 58% der Jahre diktatorische und in 18% der Jahre autoritäre Verhältnisse zu ertragen hatte. Damals arbeitete man mit aus heutiger Sicht sehr primitiven Mitteln der Datensammlung und Auswertung. Ein autoritäres Regime würde sich die Finger nach Datensätzen lecken, wie sie heute möglich sind. Das gilt erst recht für die fortgeschrittenen Mittel für deren Analyse.

Kultur:

Der Gebrauch von Bargeld ist auch Kultur. Über ein Sparschwein lernen Kinder das Sparen von Bargeld und die Großzügigkeit von Großeltern kennen. Sie lernen, sorgsam damit umzugehen. Die erste Einzahlung auf das eigene Konto bei der Sparkasse ist ein prägendes Erlebnis.

Bargeld soll physisch erlebbar sein. Das gilt insbesondere bei der Unterstützung Hilfsbedürftiger. Eine Kollekte in der Kirche oder eine Gabe an einen Bettler über ein PoS-Gerät wäre widersinnig.

Conclusio

Die für die Einschränkung oder die Abschaffung des Gebrauchs von Bargeld angeführten Argumente sind nicht stichhaltig. Die Debatte hat die Schutzfunktion von Bargeld in Extremsituationen und die unter allen Umständen zu schützende bürgerliche Freiheit nicht richtig gewichtet oder übersehen.

Dr. Martin Bartels, LightFin

Eine Antwort

  1. Mich hat bei der Abschafffung des Euro 500,- Scheins immer folgende Kontrollüberlegung fasziniert: Gerade wenn es richtig ist, dass Verbrecher hohe Scheine verwenden, ist es besonders sinnvoll, solche auszugeben. Nur wenn sich die Scheine nämlich differenzieren, kann ihre Verwendung bei der Stellung von Verbrechern eine Rolle spielen. Wenn die Verbrecher vielmehr auf Zahlungsmittel ausweichen, die auch andere verwenden, wird der Indizienbeweis schwieriger, man kann aus der Verwendung von Euro 50,- Scheinen wenig schliessen. Ähnliches dürfte für die typischen Ersatz-Zahlungsmittel gelten: Gold- und anderer Handel von Wertgegenständen (Diamanten!) ist zwar auffällig, hat aber, anders als Bargeld, keinen natürlichen Rückfluss in einen Umschlag, der wiederum ohne weiteres zugänglich ist und daher Verhüllungsversuche erschwert.
    Wenn das alles wiederum richtig ist, stellt es der Qualität der öffentlichen Diskussion kein gutes Zeugnis aus.

Schreibe einen Kommentar zu Max Gutbrod Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert